Am Samstag blickt wieder die ganze Radsportwelt gespannt nach Frankreich. Der Auftakt der heurigen Tour de France verspricht einiges: Kein Prolog, dafür ein Massensprint zum Auftakt, einen Formel-1-Start und einen Berg mit Klassiker-Potenzial. Sportlich gesehen könnte es nicht besser laufen, wäre da nicht die ewig scheinende Diskussion um Chris Froome und das Team Sky!
Quick Facts
- 105. Auflage
- 7. bis 29.7.18
- 3.351 km
- 21 Etapen (3 Bergankünfte, je einmal Mannschafts- und Einzelzeitfahren)
- Start: Noirmoutier-en-l’Ile (FRA)
- Ziel: Paris (FRA)
- Titelverteidiger: Chris Froome (GBR)
- 22 Teams, 176 Fahrer
Zweifel bleiben
Seit der Vuelta 2017 lotet das Team Sky den Spielraum bei der WADA und beim Radsport-Weltverband (UCI) aus. Es geht um den enorm erhöhten Salbutamol-Wert, der im Urin des vierfachen Tour-de-France-Siegers festgestellt wurde. Offizielles Statement gab es nur eines und das in vager Form. Froome erklärte seine Asthma-Erkrankung hätte sich verschlimmert, weswegen er die Dosis erhöhte. Die lapidare Steigerung auf das doppelte vom Höchstzulässigen, lässt laut Medizinern auf einen Zustand schließen, in dem an Radsport nicht zu denken wäre. Der 32-jährige Brite hatte laut eigener Aussage nie Gedanken an Doping oder Leistungssteigerung. Im Zentrum stehen die kontrovers zu diskutierenden medizinischen Ausnahmegenehmigungen (TUE). Nun kam die „überraschende“ Wendung: WADA und UCI haben das Dopingverfahren eingestellt und den Titelverteidiger von jeglichem Fehlverhalten freigesprochen. Damit wird der Veranstalter – Armaury Sport Organisation (ASO) – vermutlich nicht von seinem Recht Gebrauch machen, den Sky-Kapitän von der Tour auszuschließen. Dies kündigte die Sportevent Agentur zwar am Sonntagabend an, doch nur wenige Stunden später folgte eben der überraschende Freispruch. Eine klare Positionierung pro Froome und Team Sky in der neun Monate anhaltenden Odyssee. Der Radsport hat damit ein Kapitel mehr im Dilemma Doping, Sport, Wirtschaft und Macht.
Kann jemand Chris Froome ernsthaft gefährden?
Wir konzentrieren uns nun voll und ganz auf das sportliche Geschehen. Natürlich geht der amtierende Giro-Sieger – 80 Kilometer Soloflucht in den italienischen Bergen als Entscheidung – als großer Favorit (Siegquote: 2.35) in die Frankreich-Rundfahrt. Das finanzkräftige und sportlich äußerst erfolgreiche Team Sky wird alles dafür tun, damit ihr Kapitän in Paris zum fünften Mal im gelben Trikot ankommt. Im Windschatten des Briten pirschen sich ein ausgeruhter Nairo Quintana (Siegquote: 8.50), die Hoffnung aller Franzosen Romain Bardet (Siegquote: 15.25), Tour-de-Suisse-Sieger Richie Porte (Siegquote: 5.00) und der „Hai von Messina“ Vincenzo Nibali (Siegquote: 11.50) an. Für den 28-jährigen Quintana spricht, dass er mit dem Spanier Mikel Landa (Siegquote: 10.50) – Froomes ehemaliger Edelhelfer – und Alejandro Valverde (Siegquote: 26.00) zwei erstklassige Movistar-Teamkameraden hat. Problematisch könnte es für den Kolumbianer werden, wenn er Schwächen offenbart und einer seiner Helfer sich in starker Form präsentiert und selber Ansprüche auf den Rundfahrt-Sieg stellt. Das Potenzial, der erste französische Tour-de-France-Sieger seit Bernard Hinault zu werden, hat Bardet auf jeden Fall. Es wird jedoch spannend, ob der 27-Jährige dem Erwartungsdruck standhalten kann. Die letztjährigen Horror-Bilder von Ritchie Portes Sturz in einer Abfahrt sind allen noch im Kopf. Wieder vollständig erholt und mit genug Selbstvertrauen ausgestattet kommt der Australier an den Ort des Geschehens zurück und will erstmals auf das Podium der Gesamtwertung. Dem fünftplatzierten der Tour de France 2015 könnte jedoch seine oft nicht vorhandene Konstanz einen Strich durch die Rechnung machen. Einer den man immer auf der Rechnung haben muss ist der Italiener Nibali. Der 33-Jährige gehört zum illustren Kreis der Profis, die alle drei großen Landesrundfahrten mindestens einmal gewonnen haben. Nach seinem Sieg bei Frühjjahrsklassiker Mailand-Sanremo ist der Druck weg und er kann befreit auffahren. Die Jäger sind auf jeden Fall bereit und warten nur auf eine Schwäche von Chris Froome. Ob es die jedoch geben wird bezweifle ich sehr stark, aber ein Defekt oder ein Sturz – natürlich ohne gesundheitliche Folgen – liegen bei einer Rundfahrt immer im Bereich des Möglichen.
Formel-1-Flair im Radsport
Der 17. Abschnitt ist zwar nur 66 Kilometer lang, aber mit drei Bergen hat er es definitiv in sich. Ein Experiment am Start soll zusätzlich für Spannung sorgen. Nach ihren Positionen im Gesamtklassement starten die Fahrer in die Etappe, dadurch sind die Kapitäne vorerst auf sich alleine gestellt. Zusätzlich befindet sich auf dieser Strecke das „Dach der Tour“. Erstmals quälen sich die Athleten den 16 Kilometer langen – durchschnittliche Steigung von 8,7 Prozent – Anstieg auf den Col du Portet (2.215 Meter) hinauf. Eine perfekte Gelegenheit um im Kampf um das gelbe Trikot ein Ausrufezeichen zu setzen. In der Gesamtwertung werden die deutschen Sprinter, rund um Marcel Kittel und Andre Greipel eher eine untergeordnete Rolle spielen. Aber im Kampf um den einen oder anderen Etappensieg – möglicherweise schon zum Auftakt über das 201 Kilometer lange, flache Teilstück – werden sie wieder für Furore sorgen.
Kommentar verfassen